Schule & Wirtschaft
– perfektes Match?!
Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Systeme sehr unterschiedlich. Die einen haben einen sozialen Bildungsauftrag, die anderen verfolgen vermeintlich ökonomischen Zielen. Auf den zweiten Blick sind sie aber gar nicht so verschieden, so dass sich dann im „dritten Blick“ vielleicht eine ganz spannende Vielfalt ergibt, aus der beide von- und miteinander lernen können.
Nachhaltige Veränderung von Bildung
Jahrelang, wenn nicht sogar jahrzehntelang, wird am deutschen Schulsystem gemeckert: zu veraltet, zu starr, zu ausgrenzend. – Schule bereitet die Kinder nicht auf das Leben von morgen vor, vielmehr vermittelt Schule Wissen, was in der zukünftigen Welt nicht mehr relevant ist.
Und so doktern wir rum – versuchen neue, kompetenzorientiere Bildungspläne aufzusetzen, Inklusion zu verordnen und durch Fördergelder die Digitalisierung voranzutreiben. – Wenn wir aber genau hinschauen, müssen wir uns wohl selbst das Prädikat „gescheitert“ geben.
Die Pandemie-Zeit hat uns deutlich vor Augen geführt, dass die Lösungen, die vor allem die Mängel in den Blick genommen haben, keine nachhaltige Transformation angestoßen haben.
Was braucht es aber, um Schule zu verändern? Wo können wir ansetzen und wie können wir unterstützen?
Vielen Lösungen haben bisher auf der Ebene der Strukturen und Prozesse angesetzt. Dabei braucht es nach dem Integralen Modell von Ken Wilber für Transformation immer zwei Dimensionen – die innere und die äußere. Es genügt nicht nur neue Verfahren zu definieren, Ressourcen zur Verfügung zu stellen und Strukturen zu verändern. Ebenso müssen Kulturen und Werthaltungen im System mitgedacht werden.
Abb. 1: Integrale Modell nach Ken Wilber (© Romy Möller)
Digitalisierung – mehr als nur Technik
Machen wir es einmal am Beispiel der Digitalisierung konkret. Viele Schulen wurden mit Technik, z.B. interaktiven Whiteboards, ausgestattet. Gleichzeitig wurden von der Politik Medienkonzepte gefordert, um dadurch die Auseinandersetzung an Schulen zu fördern.
Wie wir jetzt aber in der Pandemiezeit sehen, sind leider die meisten Whiteboards in den Schulen verstaubt und die Digitalisierung immer noch weit hinter dem, was möglich wäre.
Sind die Schulen dran schuld? Sind die Lehrkräfte zu unwillig? – Ich bin davon überzeugt, dass diese Argumentation zu kurz gedacht wäre. Vielmehr fehlt in meinen Augen die Auseinandersetzung mit der inneren Dimension: Wie können wir eine Kultur des Ausprobierens schaffen? Wie können wir Lehrkräfte ermutigen, Fehler zu machen? Wie können wir Kooperation im Kollegium stärken, damit neue Prozesse integriert werden? – Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Digitalisierung ein Veränderungsprozess für die Lehrkräfte bedeutet, der ihnen im Schulalltag einiges abverlangt. Sie müssen sich mit neuen Dingen auseinandersetzen, sie müssen Lernen neu verstehen und sich dabei als Lehrkraft neu definieren. All dies verlangt Vertrauen, Kooperation und Mut.
Neue Kulturen an Schulen schaffen
Wie können wir also diese Kultur an Schule fördern?
Eine Antwort könnte in der Führung liegen. Führungskräfte können in ihrer Rolle inspirieren, ermutigen und leiten, denn sie sind nicht nur Manager, sondern ebenso auch Coach und Leader. Dafür braucht es vielleicht ein anderes Verständnis von Führung – eine Führung, die auf Vertrauen, Werte und Partizipation aufbaut.
Diese Art von Führung wird zunehmend wichtiger, wenn wir uns die Herausforderungen der Zukunft anschauen. Unsere Welt wird komplexer, unvorhersehbarer und unsicherer. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie spüren wir dies.
Wie können wir damit umgehen? Wie können wir auf die täglichen Herausforderungen reagieren – oder noch besser gesagt: wie können wir nicht nur reagieren, sondern auch agieren? Wie können wir diese verändernde Welt als Chance sehen und gemeinsam die Zukunft gestalten?
Diese Fragen beschäftigen uns als Gesellschaft schon länger, nicht nur im Bereich Schule, sondern auch in der Wirtschaft. Trends wie New Work & Co. versuchen darauf Antworten zu finden, indem sie Selbstorganisation, Purpose, Ganzheit und Partizipation fordern – weg von Kontrolle und Machtkonzentration hin zum kollektiven Wissen und gemeinschaftlicher Ideenentwicklung, um neue Wege zu gehen.
Und was wäre, wenn man gemeinschaftliche Ideenentwicklung wirklich groß denkt? Wenn man die Antworten auf diese Fragen nicht nur im System Schule oder im System Wirtschaft sucht, sondern systemübergreifend Impulse entstehen lässt?
Aus der Vielfalt lernen
Können sie das wirklich? Was haben denn Schulen und Unternehmen überhaupt gemeinsam? – eine ganze Menge. Meist haben wir bei Schule den Lernort für Schüler:innen im Kopf. Schule ist aber nicht nur ein Lernort, sondern auch ein Arbeitsort für Lehrkräfte und nicht-pädagogisches Personal. In diesem Verständnis ist sie genauso wie ein Unternehmen eine lernende Organisation.
Abb. 2: Strukturen in Schule und Unternehmen (© Romy Möller)
Wenn wir somit Schule als Arbeitsorganisation verstehen, ergeben sich mit Unternehmen große Schnittmengen. Zum Beispiel zu folgenden Themen:
- Welche Führungskultur gibt es? Welche Führungsprinzipien gibt es?
- Wie sieht die Teamarbeit aus? Welche Teamkultur herrscht in der Organisation?
- Wodurch ist die Kommunikationskultur gekennzeichnet?
- Welche Strukturen und Prozesse der Arbeitsorganisation gibt es? Wie hoch ist die Transparenz?
- Welche Vision leitet die Organisationsentwicklung? Wie ist die Identifikation mit dieser?
Mit diesen Themen beschäftigen sich sowohl Schulen als auch Unternehmen. Somit stellt sich die Frage, wie die Organisationen diesen begegnen können. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass Organisationen aus den Interaktionen und den Beziehungen zwischen den Personen im System bestehen. Demnach sind sie ständiger Dynamik und Entwicklung ausgesetzt, die vor allem durch die Beteiligten proaktiv gestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang hat Peter Senge in den 90er Jahren den Begriff der lernenden Organisation geprägt. Er versteht darunter „Organisationen, in denen die Menschen kontinuierlich die Fähigkeit entfalten, ihre wahren Ziele zu verwirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen freigesetzt werden und in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen“ (Senge 2001:11)
Dabei sieht Senge den Menschen als Mittelpunkt der Organisation an, denn nur wenn der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin einer Organisation lernt, lernt auch die Organisation. Hier zeigt sich auch die Verbindung zu New Work – ein Ansatz, der auf Fritjof Bergmann zurückgeht. Auch er stellt die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen in den Mittelpunkt – die Arbeit soll eine sinnstiftende Tätigkeit sein. Bergmann hat bereits in den 70er Jahren das Konzept der Arbeit hinterfragt.
Senge hat für die Entwicklung lernender Organisationen fünf Disziplinen definiert.
- Personal Mastery: Dies umfasst die eigene Selbstführung. Das heißt, dass sich die Mitarbeiter:innen ihrer eigenen Ziel bewusst und gleichzeitig für Neues offen sind. Durch den stetigen Abgleich der eigenen Vision mit der Realität entsteht nach Senge der Antrieb für das eigene Lernen und Weiterentwickeln. Daher ist es für eine Organisation wichtig, genau diese Selbstführung bei Mitarbeiteri:nnen zu fördern.
- Mentale Modelle: Unsere Wahrnehmungen und Reaktionen sind immer von unseren inneren Überzeugungen geprägt. Dabei muss uns bewusst sein, dass sowohl Personen eigene Glaubenssätze haben als auch Organisationen systemspezifische Sichtweisen existieren. Deshalb ist es wichtig, sich mit diesen auseinanderzusetzen und diese zu reflektieren, um daraufhin gemeinsam mentale Modelle zu entwickeln.
- Gemeinsame Vision: Eine gemeinsame Vision ist für die Identifikation der Mitglieder mit der Organisation wichtig. Darüber hinaus gibt sie Orientierung und Halt, um Entscheidungen und Handlungen danach ausrichten zu können.
- Team-Lernen: Ein ganz wesentlicher Aspekt in Schulen und Unternehmen ist das Team, denn zunächst ist eine Ansammlung von Menschen nur eine Gruppe. Damit diese zu einem Team wird, braucht es den entsprechenden Raum und die Entwicklung.
- Systemdenken: Die fünfte Disziplin ist die Verknüpfung zwischen den Disziplinen. Dabei geht es vor allem um eine Metaebene. Der Organisation muss bewusst sein, die Wirkungszusammenhänge im System komplex sind und damit eine Veränderung an einer Stelle sich immer auf das ganze System auswirkt.
Nun stellt sich die Frage, wie diese Entwicklung gefördert werden kann. Ein sehr wesentlicher Aspekt ist dabei die Führung, z.B. durch die Schulleitung oder die Steuergruppe, um einen gemeinsamen Entwicklungs- und Lernprozess zu initiieren und immer wieder zu fördern.
Literatur:
Peter Senge (2001): Die fünfte Disziplin.
Über die Autorin:
Romy Möller ist Coach und Initiatorin des Leadership-Programms „zusammenWachsen“ für Führungskräfte und Verantwortungsträger:innen aus Schule & Wirtschaft. Sie möchte eine Brücke zwischen den beiden Systemen bauen, um gemeinsam wertschätzende Arbeitsumgebungen zu gestalten.
Weitere Informationen unter https://www.romymoeller.com/zusammenwachsen-leadership-programm/